“Mein lieber Bruder, nicht lange mehr
kann ich die Reise von Land zu Land tun.
Älter wird mein Schritt, schwerer der Stab.
Schau den schönen See, das weite Tal,
die vielen Hütten und Dörflein.
Hier möchte ich bleiben und den Menschen,
die hier wohnen, ein guter Hirte sein.
Fände ich nur eine Höhle,
sie wäre mir das rechte Haus.”

So sprach Beatus zu seinem Freund Justus
auf dem Weg vom Brienzer- zum Thunersee.

   
Die Sage des Beatus ist immer wieder neu geschrieben worden. Auf den Tafeln und Stelen des Beatusweges wird sie in einer kurzen Version erzählt. Vielleicht aus der Sicht des Beatus selber:

„Vor langer Zeit lebte in Sundlauenen ein grausamer Drache, vor dem sich die Menschen und Tiere fürchteten. Er raubte Schafe und Kühe, vertrieb das Wild aus den Wäldern und verschonte auch die Menschen nicht. Nichts konnte diese am Tag erfreuen. Auch in der Nacht fanden sie keine Ruhe. Vor der Höhle des Drachen stand ein Opferstein, der von den Menschen in alten Zeiten für ihre Götterkulte verwendet worden war. Nun hatten sie aber ihren Glauben verloren, und sie lebten in grosser Unsicherheit. Eine neue Zeit sollte jedoch mit der Geburt Christi beginnen.

Zur Zeit, als der neue Glaube unter den Menschen verbreitet wurde und ihnen Trost und Liebe brachte, lebte ich in Irland als Jüngling aus gutem Hause und hiess Suetonius.
Ich lernte alles, was man in jener Zeit können musste, vor allem aber reiten, kämpfen und jagen. Als ich alt genug war, zog ich in die Welt hinaus, um als rechter Ritter den Armen zu helfen, die Schwachen zu beschützen und gegen wilde Tiere zu kämpfen.
Ich half, wo es nötig war und beschützte die Menschen und verschenkte meinen Reichtum. Sogar meine letzte Goldkette gab ich einer armen Mutter, die ihre Kinder nicht mehr ernähren konnte.

Auf meiner Wanderung kam ich an eine gefährliche Schlucht. Beim Versuch, diese zu überspringen, verlor ich mein Pferd, wie mein Schwert und meinen Rittermantel. Nun war ich völlig mittellos. Ich irrte umher und kam schliesslich auf eine Lichtung, auf der ein Opfertisch stand. Um diesen Stein befanden sich in einem Kreis grosse Menhire. Daneben lebte in einer kleinen Hütte ein Greis. Dieser erzählte mir von der Geburt Jesu. Ich liess mich bekehren und auf den Namen Beatus – der Glückselige – taufen. So wurde aus mir ein Ritter des christlichen Glaubens, und ich zog weiter, um vielen Menschen den neuen Glauben zu lehren.

Meine Wanderung führte mich ans Meer. Ich fragte einige Fischer, ob sie mich über das Meer bringen könnten. Da ich kein Geld besass, waren sie uneinig. Einige Männer entschieden sich, mich mitzunehmen. Während der Überfahrt lernte ich von einem alten Fischer, wie man Netze knüpft. Mitten auf dem Meer kam ein fürchterlicher Sturm auf. Während die Fischer verzagten, stand ich aufrecht am Mast. Als die Fischer sahen, mit welcher Zuversicht ich dem Sturm trotzte, verloren auch sie die Angst. Ohne Schaden kamen wir ans andere Ufer.

Das Netz, das ich auf der Überfahrt geknüpft hatte, schenkte er den Fischern. Justus, der junge Steuermann, war von meiner Entschlossenheit tief beeindruckt. Er entschied sich, mit mir auf Wanderschaft zu gehen, und gemeinsam wanderten wir weiter. Am nächsten Tag befanden sich die Fischer in der Nähe ihrer Heimat, als sie die Netze auswarfen. Beim Einholen der Netze bemerkten sie, dass sich in dem Netz am meisten Fische befanden, welches ich geknüpft hatte. Noch vielen Generationen bescherte das Netz reichen Fischfang.

Auf unserer Wanderschaft trafen Justus und ich viele Menschen, die noch nie etwas von Jesus gehört hatten. Noch verehrten sie ihre alten Götter, brachten ihnen Opfer dar und wurden sehr zornig, dass sich zwei Glaubensbrüder ihre Götter in Zweifel zogen. Meistens konnten die Zornigen zurückgehalten werden. Doch einmal ergriffen sie uns und warfen uns in eine Bärengrube. In dieser Grube befanden sich Bären, welche geopfert werden sollten.
In der Tiefe brummte es, dann wurde es still. Verwundert blickten die Menschen in die Grube und trauten ihren Augen nicht, als sie sahen, dass die Bären Justus und mich verschonten. Nun waren die Menschen bereit meine Worte anzuhören.

Die Wanderschaft führte uns das Unterwaldnerland hinauf über den Brünig und am Brienzersee entlang nach Sundlauenen. Da uns das kleine Dorf am See sehr gut gefiel und wir beide von der langen Wanderschaft doch sehr müde waren, beschlossen wir, in Sundlauenen zu bleiben. Hier fanden wir arme ängstliche Leute vor, die uns vom fürchterlichen Drachen erzählten, der in der Höhle oberhalb des Dorfes wohnte. Wir versuchten den Leuten von Jesus zu erzählen, um ihnen Hoffnung zu geben. Ich merkte aber bald, dass die Angst zu tief sass und dass zuerst der Drachen vertrieben werden musste, bevor die Menschen für das Evangelium empfänglich sein würden.

Ich liess mir den Weg zur Höhle zeigen, die der Drache bewohnte. Wie ich mich der Höhle näherte, erkannte ich, dass hier ein schreckliches Untier hausen musste. Die Gräser waren verbrannt, der Fels kahl und angeräuchert und die Bäume nahe der Höhle dürr und tot. Überall sah ich Spuren der Verwüstung; angekratzte Stämme, zertretene Sträucher. Aus der Höhle schwebte der stinkende Atem des Drachen.

Furchtlos stieg ich hinauf. Durch das letzte Gebüsch tretend, blickte ich direkt ins Schauerloch. Dort lag der Drache. Hörner und Zacken sassen auf dem Schädel und Rücken, giftiger Schleim rann von der geschwollenen Zunge über die fürchterlichen Krallen. Kaum erblickten mich die roten Augen, fing das Untier an, mit seinem Schuppenschwanz wild umherzuschlagen. Ich trat mutig auf die Kreatur zu und rief heilige Worte. Als sich der Drache auf mich stürzen wollte, hielt ich ihm das Kreuz entgegen.

Der Drache fuhr beim Anblick des Kreuzes hoch in die Luft und stürzte in den See. Das Wasser zischte und kochte. Der Drache fuhr noch einmal aus den Wellen hoch, bis zur Fluh hinauf. Dort schlug sein Schwanz mit grässlicher Kraft gegen den Stein, dass der Fels erbebte. Doch schliesslich fiel der Drache hinab und versank im tiefen See. Die Sundlauener stiegen darauf jubelnd zur Höhle hinauf und sanken vor mir in die Knie.

Als sie mich anbeten wollten, sprach ich: ‚Nicht meine Kraft ist es, die euch errettet, ich will euch erzählen, wer meinen Arm und meine Worte stark gemacht hat.’ Jetzt konnte ich meine Botschaft an die Herzen dieser armen Menschen richten.

Die Menschen von Sundlauenen baten Beatus zu bleiben und boten ihm ein Häuschen an. Er zog es jedoch vor, in einer kleinen Nebenhöhle seiner Klause einzurichten und als Einsiedler zu leben.

Im kleinen Dorf Einigen hörten die Menschen vom Segen, den Beatus und Justus gebracht hatten. Deshalb baten die Leute Justus, er möge doch nach Einigen ziehen und auch sie das Evangelium lehren. Dafür bauten sie ihm eine Kapelle und versorgten ihn mit Speis und Trank. So wurde Justus zum ersten Pfarrer am Thunersee. Als er älter wurde, zog er in ein stilles Tal oberhalb von Merligen, welches heute noch Justistal heisst.

   
       
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